Für Sie gelesen: Zwischen Egoismus und Altruismus

Abseits aller Neujahresvorsätze sind die meisten unter uns bestrebt, gute Menschen zu sein. Aber nur selten werden wir unseren eigenen Ansprüchen gerecht. In seinem Buch „Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein“ zeigt Verhaltensökonom Armin Falk Stolperfallen auf dem Weg zum moralischen Verhalten auf und transformiert diese in Stellschrauben, die dabei helfen, dem persönlichen moralischen Kompass besser zu folgen.

Moral kontra Eigennutz – der fundamentale Zielkonflikt

Mit unserem Verhalten verfolgen wir immer, bewusst oder unbewusst, zwei Ziele gleichzeitig: Einerseits suchen wir unseren eigenen Vorteil, berücksichtigen dabei aber gleichzeitig auch die Interessen der anderen. Denn so hat es bereits die Evolution für uns vorgesehen. Unsere Vorfahren konnten als Jäger und Sammler nur überleben, indem der oder die Einzelne nicht nur auf sich selbst schaute, sondern mit seiner Gruppe kooperierte und teilte.

 

Doch gerade mit dem Teilen ist es so eine Sache. In diversen Experimenten hat die Verhaltensökonomie das Phänomen des Teilens bereits vielfach untersucht. Ein Beispiel hierfür ist das sogenannte „Diktatorenspiel“. Dabei dürfen ausgewählte Proband*innen, die „Diktator*innen“, nach eigenem Gutdünken willkürlich über die Aufteilung von 100 Euro bestimmte. Dabei lässt sich eine interessante Bandbreite beobachten: Gut ein Drittel der Teilnehmer behält alles für sich. Ein weiteres Drittel teilt, aber gibt weniger als die Hälfte ab. Ein Sechstel der Proband*innen macht fifty-fifty und nur wenige geben mehr als die Hälfte. Im Durchschnitt geben die Teilnehmer*innen 28 Euro freiwillig an einen zweiten unbekannten Mitspieler oder eine Mitspielerin ab.

 

Das eigene Image und wie andere über uns denken scheint beim Thema Teilen eine besondere Rolle zu spielen.  Varianten des „Diktatorenspiels“ belegen, dass Proband*innen einen größeren Betrag hergeben, wenn sie sich beobachtet fühlen. Durch Transparenz erhöht sich die Bereitschaft zu teilen aus Sorge um den guten Ruf. Im Gegenzug stärkt die Person ihre Eigenwahrnehmung als „guter Mensch“ und wird mit Zuspruch und sozialer Anerkennung belohnt.

 

Jeder und jede von uns führt eine eigene „moralische Buchhaltung“, wobei wir uns zuweilen selbst beschwindeln: So sind die erinnerten Beiträge der Proband*innen im „Diktatorspiel“ im Schnitt signifikant höher als die tatsächlich geleisteten. Indem wir uns an eine kleine gute Tat erinnern, erteilen wir uns eine Lizenz zum Nichthelfen. Im Wunsch, unser positives Selbstbild aufrecht zu erhalten, schönen wir unsere Taten – und bemerken es interessanterweise nicht einmal.

 

Reziproke Motivation oder „Wie du mir, so ich dir.“

Ein weiteres Forschungsfeld der Verhaltensökonomie untersucht, wie wir auf die Handlungen anderer reagieren. Grundsätzlich sind wir Menschen reziprok motiviert, das bedeutet, wir beantworten positive Signale mit positiven Gefühlen und möchten Menschen bestrafen, die sich aus unserer Sicht uns gegenüber unfair verhalten. In beiden Fällen erzeugt diese Bereitschaft zur Reziprozität „selbsterfüllende Prophezeiungen“: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Anders gesagt erhöht und fördert Vertrauen den Austausch zum beiderseitigen Vorteil.

 

Denn es lässt sich beobachten, dass private und wirtschaftliche Beziehungen sich bei wiederholtem Austausch stabilisieren. Menschen fair und respektvoll zu behandeln, ist also nicht nur moralisch anständig, sondern auch ökonomisch sinnvoll, weil freiwilliger Austausch in der Regel beide Seiten besserstellt. Selbst Menschen, die sich in anderen Situationen egoistisch verhalten, zeigen sich dann mitunter überraschend kooperativ.

 

So lässt sich die Kooperation bei gemeinsamen Vorhaben verbessern

Doch gerade wenn eine gemeinsame Kraftanstrengung zur Eindämmung negativer Auswirkungen erforderlich ist, dann erweisen sich viele Menschen als „bedingt kooperativ“: Die Mehrheit der Menschen orientiert sich am Durchschnitt der Beiträge der anderen. Eine Minderheit von Egoist*innen beteiligt sich nicht und profitiert somit von den Anstrengungen der Aktiven. Da der Durchschnitt aller Beiträge den maximalen Beitrag der Mitwirkenden begrenzt und die egoistisch motiviert handelnde Personen diesen Durchschnitt senken, kommen die gemeinsamen Vorhaben unzureichend oder unter Umständen gar nicht zustande. Diesen Effekt beobachtet man mitunter bei den Versuchen zur Eindämmung von Treibhausgasen.

 

Sobald das Verhalten einer einzelnen Person beobachtbar ist, kommt der bereits oben angesprochene Image-Effekt zum Tragen. Wenn mehrere Personen an einem Vorhaben arbeiten und der Beitrag des Einzelnen dadurch beobachtet werden kann, lässt sich feststellen, dass sich auch egoistisch motivierte Gruppenmitglieder kooperativ beteiligen. Soziale Normen (z.B. Müll nicht im Wald abladen) tragen also dazu bei, Verhaltensweisen in bessere Bahnen zu leiten. Die meisten halten sich an diese Normen, jene, die diesen Normen zuwiderhandeln werden abgestraft und verlieren innerhalb ihrer sozialen Gruppe an Ansehen. Auch unsere Erwartungen über das Verhalten anderer beeinflussen unser eigenes Verhalten. Experimente zeigen, dass beispielsweise Menschen seltener Müll zu Boden werfen, wenn dieser beispielhaft sauber ist.

 

In der Masse entzieht sich der einzelne mitunter seiner moralischen Verpflichtung

In großen Organisationen sorgt unter anderem die Diffusion von Verantwortung für moralische Herausforderungen. Laut den Erkenntnissen der Moralforschung ist das Verhalten in Gruppen besonders anfällig für moralisch fragwürdige Handlungen. Je größer die Gruppe ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der einzelne hilft. Je größer die Gruppe, desto pessimistischer schätzen wir außerdem auch die Hilfsbereitschaft der anderen ein. Das Individuum denkt angesichts dieser pessimistischen Perspektive mitunter, das es sich ungestraft eigennützig verhalten kann. In Organisationen und Großgruppen greift dann oftmals auch das Argument, wenn man nicht selbst der- oder diejenige sei, der unmoralisch reagiert, eben ein anderer oder eine andere diese Position einnehme. Die – moralisch fragwürdige – Konsequenz tritt also in der Vorstellung des Individuums in jedem Fall ein. Zudem greift auch hier das Argument, dass es auf das Individuum als Einzelnen nicht ankommt.

 

Aus dieser Motivation heraus entstehen dann Gebrauchslogiken und Rechtfertigungen des eigenen Handelns in Stil der Aussage „Wenn ich nicht fliege, dann sitzt jemand anderer auf meinem Platz, das Flugzeug startet in jedem Fall.“ Dieses Argument stammt aus der utilitaristischen Ethik, welche nach den Konsequenzen der Handlungen fragt. Da das Fliegen bzw. Nichtfliegen für das Individuum im Ergebnis scheinbar keinen Unterschied macht, erteilt es sich im vorliegenden Fall den moralischen Freibrief, zu fliegen.

 

Große Organisationen sind laut Armin Falk also tendenziell anfälliger für moralisch diskussionswürdige Handlungen, weil Delegation die Verantwortung verwischt. Das gelte auch in Bezug auf die Herstellung, Vertrieb und den Verkauf von Produkten. Wenn Herstellungsprozesse stark verschachtelt sind und wenig transparente, diffuse Wertschöpfungsketten vorherrschen, haben Marktteilnehmer*innen viele Argumente parat, um sich nicht mit den negativen Konsequenzen, beispielsweise auf die Umwelt, auseinandersetzen zu müssen.

 

Armin Falk plädiert daher für mehr Ethik im Sinne von Immanuel Kant, deren Haltung nicht nach den Konsequenzen des Handelns fragt, sondern danach, welche Entscheidung richtig oder falsch ist. In Kants Ethik sieht der Autor einen verlässlichen moralischen Kompass in Situationen, in denen der oder die Einzelne das Ergebnis nicht beeinflussen kann.

 

„Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein.“ von Armin Falk, erschienen im Siedler Verlag, 2022.