Herr Scherl, der Boom am österreichischen Wohnimmobilienmarkt ist vorbei und für 2023 wurde sogar von Preisrückgängen berichtet. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Es ist wirklich ungewohnt, erstmalig seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2010 von einem Preisrückgang zu lesen. Hier muss man sich die Fakten allerdings im Detail ansehen. Laut Statistik Austria verringerten sich im Jahr 2023 die Preise für Häuser und Wohnungen durchschnittlich um 2,6 % im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2022 wurden noch Preissteigerungen von über 10 % verzeichnet. Somit liegen die Preise 2023 immer noch über jenen von 2021. Von einem Preisverfall kann meiner Meinung nach somit keinesfalls gesprochen werden.
Gab es bei der Preisentwicklung größere Unterschiede zwischen Bestands- und Neubauimmobilien?
Hohe Material- und gestiegene Personalkosten sowie hohe Zinsen können de facto nicht zu einer Reduktion der Preise im Neubaubereich führen. Dies bestätigt auch die Datenlage. Bei den Preisen von neuem Wohnraum kam es lediglich zu einer Reduktion von 0,1 % im Vorjahresvergleich. Stärkere Rückgänge in Höhe von 3,7 % zeigten sich hingegen beim bestehenden Wohnraum.
Wie schätzen Sie die jüngste Wohnimmobilienpreisentwicklung ein?
Die vorliegenden Daten für das erste Halbjahr 2024 weisen darauf hin, dass sich der Preisrückgang abflacht. Im zweiten Quartal 2024 sanken die Preise im Vergleich zum Vorquartal lediglich um 0,1 %. Im Euroraum sind die Preise im zweiten Quartal bereits wieder gestiegen.
In den vergangenen Monaten wurden deutlich weniger Immobilientransaktionen registiert. Die Nachfrage ist somit zurückgegangen. Wie sehen Sie aktuell das Verhältnis von Angebot und Nachfrage?
Sowohl bei den Neubau- als auch bei den Bestandswohnungen ist ersichtlich, dass im Vergleich zu den Jahren 2020 bis 2022 mehr Immobilien zum Verkauf angeboten werden. Die Verkaufsdauer hat sich zudem verlängert. Das Angebot an Mietobjekten am Markt war jedoch rückläufig und hier herrscht aktuell ein Nachfrageüberhang.
Österreich liegt bei der Wohneigentumsquote bereits unter 50 % und damit an vorletzter Stelle in der EU. Mehr als die Hälfte der Österreicher*innen lebt in Miete – wie hat sich die Lage entwickelt?
Der Wohnbedarf steigt aufgrund der wachsenden Bevölkerung nach wie vor. Die sinkende Eigentumsquote erhöht somit die Nachfrage nach Mietverhältnissen und hat neben der Inflation die Preise nach oben klettern lassen. Laut Statistik Austria legten die Mieten in den letzten zwei Jahren konstant zu. Die Daten zum 30.06.2024 zeigen eine Steigerung von 5,4 % im Vergleich zum Vorjahr.
Die Höhe der Zinsen ist generell ein wesentlichter Faktor für die Kreditnachfrage. Welchen Einflussfaktor hat die Zinslandschaft auf die Nachfrage nach Vorsorgeimmobilien?
Sie ist von großer Bedeutung für die Attraktivität von Vorsorgeimmobilien. Die Zinsen sind in den vergangenen Jahren deutlich über den Mieten gestiegen. Gleichzeitig konnten am Kapitalmarkt auch bei moderatem Risiko bereits gute Renditen erwirtschaftet werden. Aus diesem Grund flachte die Nachfrage nach Vorsorgeimmobilien etwas ab. Zuletzt sind die Renditen aufgrund höherer Mieten aber wieder gestiegen und bei Anleger*innen ist ein wieder aufkommendes Interesse zu beobachten.
Welche Preisentwicklung bei Wohnimmobilien erwarten Sie?
Im neuen Jahr können aus meiner Sicht verschiedene positive Aspekte die Nachfrage nach Immobilien und Neukrediten wieder befeuern:
Das Einkommen ist durch die überdurchschnittlichen Gehaltsanpassungen in den Jahren 2022 sowie 2023 gestiegen und die Zinsen sind bereits zurückgegangen. Zusätzlich werden weitere Zinssenkungen erwartet. Sofern dies zutrifft und die Inflation zudem auf dem aktuellen Niveau verharrt, steigt die Leistbarkeit. Daher erwarte ich eine höhere Nachfrage nach Wohnraum zur Befriedigung des eigenen Wohnbedürfnisses. Zudem gewinnen Vorsorgeimmobilien angesichts der gesunkenen Zinsen und der gestiegenen Mieten an Attraktivität. Somit dürfte auch hier die Nachfrage steigen.
Welche Risiken gibt es?
Als Unsicherheitsfaktor sehe ich im Gegenzug das wirtschafliche Umfeld und die weltweiten Krisenherde. Ich blicke vorsichtig optimistisch auf das Jahr 2025.
Lassen Sie uns abschließend auf die KIM-Verordnung, die eine strenge Vergabe von Immobilienkrediten regelt, blicken. Diese läuft bis 30.06.2025 – wie geht es dann weiter?
Im Dezember 2024 wurde seitens der Aufsicht veröffentlicht, dass keine Verlängerung erfolgen wird und die KIM-Verordnung somit per 30.06.2025 ausläuft. Ich begrüße diese Entwicklung und rechne in der zweiten Jahreshälfte mit einer weiteren Belebung der Nachfrage.
Herr Scherl, vielen Dank für das Gespräch!
Mario Scherl ist seit über 18 Jahren im Bankenbereich tätig. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich der Immobilienfinanzierung im Privatkundengeschäft. Seit 2013 ist er in der Bank für Tirol und Vorarlberg AG tätig und seit 2016 Leiter für das private Finanzierungsgeschäft.
Diese Publikation dient lediglich der Information. Die BTV prüft ihr Informationsangebot sorgfältig. Dennoch bitten wir um Verständnis, dass wir diese Informationen ohne Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität zur Verfügung stellen. Bitte beachten Sie, dass Einschätzungen und Bewertungen die Meinung des jeweiligen Verfassers zum Zeitpunkt der Erstellung bzw. Ausarbeitung reflektieren und für die Richtigkeit und den Eintritt eines bestimmten Erfolges keine Gewähr übernommen wird. Der Verfasser behält sich einen Irrtum, insbesondere in Bezug auf Kurse und andere Zahlenangaben, ausdrücklich vor. Durch neue Entwicklungen oder kurzfristige Änderungen können diese Informationen bereits überholt sein. Diese Publikation ist keine individuelle Empfehlung bzw. kein Angebot.
Wertentwicklungen der Vergangenheit bieten keine Gewähr für künftige Ereignisse oder Wertentwicklungen. Bei Prognosen und Schätzungen über die zukünftige Entwicklung handelt es sich lediglich um unverbindliche Werte. Von diesen kann nicht auf die tatsächliche künftige Wertentwicklung geschlossen werden, weil zukünftige Entwicklungen des Kapitalmarktes nicht im Voraus zu bestimmen sind.