BTV Expertengespräch: Breite Diversifikation ist ein Muss
Wie reagieren die Fondsgesellschaften auf das herausfordernde Umfeld und können Fonds gegenüber ETFs weiterhin überzeugen?
Laut UN lebten Mitte 2024 bereits knapp 8,2 Mrd. Menschen auf unserem Planeten und wir haben den Höchststand noch nicht erreicht. Prognostiziert wird ein weiterer Anstieg von 2 Mrd. in den nächsten 20 Jahren, womit 2045 knapp 25 % mehr Menschen auf unserem Planeten leben werden. Den Höchststand der Bevölkerung von 10,3 Mrd. sollten wir dann erst 2080 erreichen. Somit lässt sich zu Lebzeiten der meisten heute lebenden Menschen ein klarer Bevölkerungstrend erkennen, und zwar ein steigender.
Die Veränderungen in der Weltbevölkerung sind jedoch ungleichmäßig und die demografische Landschaft entwickelt sich ganz unterschiedlich, mit einem raschen Bevölkerungswachstum an einigen Orten und einer raschen Alterung an anderen. Tendenziell gilt, dass das Bevölkerungswachstum in der entwickelten Welt zurückgeht und gleichzeitig das Durchschnittsalter steigt. Diese Entwicklung ist zum einen bedingt durch weniger Nachkommen, zum anderen aber auch durch eine höhere Lebenserwartung. In den Schwellenländern beobachten wir hingegen weiterhin ein Bevölkerungswachstum und eine geringere Lebenserwartung, wobei sich die Bedingungen auch hier verbessern.
Die größte Angst, die die demografischen Entwicklungen mit sich bringen, ist wohl jene vor einem Wohlstandsverlust. Eine älter werdende Gesellschaft in Kombination mit einer geringeren Erwerbsbevölkerung liefert die Grundlage für diese Angst. Ist diese Betrachtungsweise aber aus aktueller ökonomischer Sicht noch korrekt?
Die Begründung aus dem Lehrbuch für die Sorgen um das Wirtschaftswachstum und damit um den Wohlstand ist die sogenannte demografische Dividende. Denn wenn die Erwerbsbevölkerung wächst, so lässt dies auch das Trendwachstum ansteigen, so lehrt uns die Theorie.
Grafik 1: Quelle: Deutsche Bank: „Demographics: The Market Impact to 2030“
Ältere Menschen arbeiten nicht mehr, treiben Produktivität und Wirtschaftswachstum nicht länger voran, das verfügbare Einkommen sinkt und dadurch wird auch weniger konsumiert. Somit wird das Trendwachstum laut Lehrbuch sinken. Demnach profitieren aktuell die Schwellenländer von der demografischen Dividende und weniger die entwickelte Welt. In Japan schreitet die Alterung voran und das Bevölkerungswachstum sinkt, ein Trend, der sich schon seit Jahrzehnten bemerkbar macht. In Europa entwickelt sich die Bevölkerung ähnlich, wohingegen sich die USA noch vergleichsweise jung halten. Es sind heutzutage aber nicht mehr nur die Nachkommen, die die Erwerbsbevölkerung ansteigen lassen. Denn ältere Menschen arbeiten durchschnittlich länger, weil sie gesünder sind, und auch die Immigration spielt hier eine bedeutende, unterstützende Rolle (siehe Grafik 1).
Nicht vergessen werden darf außerdem, dass auch ältere Menschen in den vergangenen Jahren mehr konsumiert haben, da sie vor allem in den entwickelten Wirtschaftsregionen fitter sind und ihre Freizeit genießen möchten. Außerdem nützt die bloße Jugend auch nichts. Eine sehr junge Bevölkerungsschicht, die nur über eine geringe Ausbildung verfügt, kann auch keinem Land zum Wohlstand verhelfen. Neben dem Bevölkerungswachstum gibt es außerdem noch eine zweite Komponente, die das Trendwachstum anhebt, und zwar der technologische Fortschritt. Denn durch Innovation kann die Effizienz gesteigert und können die negativen Auswirkungen eines geringen Bevölkerungswachstums relativiert, wenn nicht sogar ausgeglichen werden.
Die Tatsache, dass ältere Menschen eher in „sichere“ Anleihen investieren, hat sich schon seit den 1990er-Jahren sukzessive geändert. Eine höhere Lebenserwartung und eine bessere Gesundheit führen nämlich auch im Alter zu mehr Risikotoleranz. Das heißt, die Nachfrage nach Aktien dürfte auch bei einer älter werdenden Gesellschaft nicht abreißen. Ängste vor geringeren Unternehmensmargen aufgrund einer abnehmenden Erwerbsbevölkerung sind ebenfalls unbegründet. Ein geringeres Arbeitskräftepotenzial kann den Druck auf Unternehmen sogar erhöhen, mehr zu investieren, um Innovationen voranzutreiben und die Effizienz zu steigern. Auch in diesem Fall müssen Unternehmen damit einzeln beurteilt werden und die Fähigkeit, sich an neue Gegebenheiten anzupassen, bleibt wie so oft ausschlaggebend.
Auch auf Regionen- und Sektorenebene gibt es in Sachen Demografie Unterschiede. Wie schon erwähnt, dürften die USA sich innerhalb der entwickelten Welt resilienter zeigen, da sie einen höheren Anteil an 30- bis 40-Jährigen aufweisen. Diese Altersgruppe ist stark für Wirtschaftswachstum, Innovation und Konsum verantwortlich. Branchentechnisch dürften der Gesundheitssektor, Dienstleistungsunternehmen, aber auch Luxusgüterhersteller und Reiseanbieter von einer mittlerweile konsumfreudigeren älteren Gesellschaft profitieren.
Grafik 2: Quelle: Deutsche Bank: „Demographics: The Market Impact to 2030“
Wenn eine ältere Bevölkerung tatsächlich auf das Wirtschaftswachstum drückt, wie das beispielsweise in Japan der Fall ist, so sinken auch die Zinsen. Denn der neutrale Zins, bei dem die Wirtschaft weder stimuliert noch eingedämmt wird, liegt auf einem niedrigeren Niveau, wenn auch das Trendwachstum ein tieferes ist.
Zusätzlich könnte eine verstärkte Nachfrage nach Anleihen zu sinkenden Renditen führen. Eine höhere Nachfrage nach Anleihen spielt allerdings erst eine Rolle, wenn die Ruhestandsphase schon weiter fortgeschritten ist und die Risikotoleranz abnimmt. Nicht vergessen werden darf allerdings, dass höhere Staatsausgaben für Pensionen/Renten, das Gesundheitssystem sowie für Infrastruktur auch eine höhere Emissionstätigkeit bedeuten (siehe Grafik, * E = Erwartungen; bei Prognosen und Schätzungen über die zukünftige Entwicklung handelt es sich lediglich um unverbindliche Werte. Von diesen kann nicht auf die tatsächliche künftige Entwicklung geschlossen werden.). Dadurch könnten Staatsanleiherenditen tendenziell sogar ansteigen. Gegeben ist dies allerdings nur, wenn ältere Menschen tatsächlich auch mehr konsumieren und deren Ansprüche auch steigen. Am Beispiel Japan zeigt sich das genaue Gegenteil: Eine älter werdende Gesellschaft konsumiert weniger, das Wirtschaftswachstum sinkt und auch die Renditen verharren seit Jahrzehnten auf Rekordtiefs.
Einen hohen Rohstoffbedarf erwarten wir hauptsächlich aus den Schwellenländern. Die Bevölkerung ist jung, der Wohlstand steigt und gegenüber den entwickelten Staaten besteht ein großer Nachholbedarf. Vor allem die Nachfrage nach Energie und für Infrastruktur relevanten Rohstoffen wie Eisenerz, Kupfer und Nickel ist sehr hoch.
Der demografische Wandel ist ein komplexes Thema und die einzig richtige Handlungsempfehlung gibt es hier wohl nicht. Oft wird mit Blick auf Japan gesagt, dass Europa wohl in baldiger Zukunft dasselbe Schicksal erleiden wird: ein geringes Wirtschaftswachstum, keine Produktivitätszuwächse und kaum vorhandene Zinsen. Doch so muss es nicht sein, denn Europa lässt sich mit Japan nicht vergleichen. Der Wohlstand ist hoch, auch in der älteren Bevölkerung, die Ansprüche groß und auch die Gesundheit verbessert sich immer weiter. Zusätzlich dazu sorgen Innovationen, die vor allem auch im Zuge der Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz stark zugenommen haben, für mehr Produktivitätswachstum und Effizienz.
Langfristig orientierten Anleger*innen sei Folgendes geraten: Ein breit aufgestelltes Portfolio macht immer Sinn, insbesondere jedoch in turbulenten Zeiten mit vielen Veränderungen. Auf der Aktienseite empfehlen wir, die Unternehmen im Blick zu behalten und auf Qualität, ein solides Geschäftsmodell, eine dynamische Unternehmenspolitik sowie ausreichend Innovation zu achten.
Die in diesem Beitrag verwendeten Fach- und Finanzbegriffe werden unter btv.at/glossar ausführlich erklärt.
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