Die Steuerung des Staatshaushaltes
Dieser Beitrag geht auf die Steuerung des Staatshaushaltes ein und erklärt auch, warum dies besonders wichtig ist, wenn man sich den Zugang zum Kapitalmarkt sichern möchte.
Laut IWF (Internationaler Währungsfonds) haben inzwischen mehr als hundert Länder verschiedenste Fiskal- oder Budgetregeln eingeführt – und ihre Zahl nimmt zu. Die Idee ist die Begrenzung der Neuverschuldung und die Regulierung der Staatsfinanzen.
Im Wesentlichen geht es darum, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen Kredite aufgenommen werden können, ohne dass dadurch eine Überschuldung und im schlimmsten Fall ein Ausfall droht. Dabei lassen sich grundsätzlich zwei Modelle unterscheiden: Schulden auf nationaler Ebene und solche, die in einem internationalen Kontext eingeführt wurden.
Ein prominentes Beispiel für eine internationale Schuldenbremse ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU. Dieser wurde im Jahr 1997 mit dem Ziel beschlossen, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten ihre Haushalte konsolidieren und somit alle Voraussetzungen für eine stabile Wirtschaft erfüllen. 60 % Schulden im Verhältnis zum BIP bzw. 3 % Neuverschuldung jährlich gelten als Obergrenze.
Für eine Schuldenbremse auf nationaler Ebene gibt es viele Beispiele. In Italien wurden 1999 Fiskalregeln auf kommunaler Ebene eingeführt, die detaillierte Vorgaben für die Regulierung des Finanzhaushalts jeder Stadt und Provinz beinhalten. Die Schweiz hat seit 2003 eine Schuldengrenze in ihrer Verfassung verankert. Diese soll sicherstellen, dass das Haushaltsdefizit auf allen staatlichen Ebenen – Bund, Kantone und Gemeinden – kontrolliert wird.
Auch in Österreich ist eine Schuldenbremse seit 2013 in der Verfassung, um den Anstieg der Staatsverschuldung zu begrenzen. Deutschland als bekanntestes Beispiel hat die Schuldenbremse seit 2009 im Grundgesetz verankert. Wir kommen etwas später darauf zurück und schauen uns die deutsche Schuldengrenze im Detail an.
Ökonomisch gesehen ist es unumstritten, dass das Kreditwesen die Wohlfahrt eines Wirtschaftssystems steigert. Warum also eine Schuldengrenze einführen? Die Idee ist, unkontrollierte Neuverschuldung zu verhindern und das Risiko einer Überschuldung bzw. Insolvenz so gering wie möglich zu halten.
Ökonomische Studien zeigen, dass sich die Wirtschaft in Ländern mit solchen Regeln nicht schlechter, sondern besser entwickelt als anderswo. Zumindest gilt dies dann, wenn das jeweilige Land die Schuldenbremse in der Verfassung verankert hat und sie damit verbindlich ist. Ökonomen des deutschen ifo Instituts sehen den Hauptgrund in der geringeren Zinslast: niedrig verschuldete Länder müssen natürlich weniger Geld für Zinsen ausgeben. Insbesondere nach den drastischen Zinserhöhungen seit 2022 klingt dies durchaus plausibel und rückt die Diskussion rund um die Sinnhaftigkeit von Schuldengrenzen wieder in den Vordergrund.
Deutschland hat die Schuldengrenze seit 2009 in Artikel 109 sowie Artikel 115 des Grundgesetzes verankert und sie regelt, wie viele Kredite der Bund und die Länder in einem Haushaltsjahr aufnehmen dürfen. Unterschieden wird bei der deutschen Schuldenbremse zwischen der strukturellen und der konjunkturellen Komponente.
Die strukturelle Komponente sieht vor, dass die Bundesländer i. d. R. ohne Schulden zurechtkommen müssen, dem Bund sind sie bis zur Höhe von 0,35 % des nominellen BIP erlaubt. Aktuell sind dies etwa 24 Mrd. Euro jährlich. Die konjunkturelle Komponente erlaubt die Aufnahme zusätzlicher Schulden während eines konjunkturellen Abschwungs.
Es gibt eine Ausnahmeregel („escape clause“), die es dem Bundestag mit einfacher Mehrheit erlaubt, die Schuldengrenze im Falle von aussergewöhnlichen Notsituationen auszusetzen. Dies geschah zuletzt in den Jahren 2020 bis 2022 aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Zudem kann der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit völlig unabhängig von diesen Regeln Ausnahmen beschliessen.
Eine Schuldengrenze kann im Falle von aussergewöhnlichen Notsituationen ausgesetzt werden
So viele Vorteile eine Schuldenbremse auch hat, Verhandlungen rund um den Bundeshaushalt macht sie nicht einfacher. Aktuell wird Deutschlands Bundeshaushalt für 2025 verhandelt. Finanzminister Christian Lindner plant Ausgaben von 489 Mrd. Euro, voraussichtliche Einnahmen dürften 424 Mrd. Euro betragen, an Krediten aufnehmen darf der Bund aufgrund der Schuldengrenze nur 24 Mrd. Euro.
Das kleine Einmaleins sagt uns: Dem deutschen Haushalt fehlen nächstes Jahr demnach etwa 40 Mrd. Euro. Die Diskussionen, ob eine ausserplanmässige Kreditaufnahme aufgrund der Konjunkturkomponente zulässig ist, laufen. Falls nicht, bleibt Deutschland nur die Möglichkeit, Ausgaben zu reduzieren. Speziell in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gelten Investitionen aber als massgeblich, um die Konjunkturdynamik wieder anzuschieben. Dies ist einer der gravierendsten Kritikpunkte der Gegner der Schuldenbremse: Deutschland spare sich noch zu Tode.
Wer hingegen sicher nichts gegen den deutschen Sparkurs einzuwenden hat, ist die EU. Diese verfolgt im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes die Einhaltung der Schuldenobergrenze von 60 % des BIP bzw. 3 % Neuverschuldung jährlich. Deutschland gilt hier unter allen EU-Mitgliedstaaten als Musterschüler – wenngleich der Anstieg der Verschuldung infolge des Coronavirus dazu geführt hat, dass auch Deutschland wieder knapp über den 60 % liegt (siehe Grafik 1).
Grafik 1: Quelle: Bloomberg, Stand: Juli 2024.
Auch die Maastricht-Kriterien wurden während der Pandemie und wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine fast vier Jahre lang ausgesetzt, um den EU-Mitgliedstaaten Spielraum für fiskalische Hilfspakete zu geben. Seit Ende April 2024 sind diese aber wieder in Kraft, mit möglicherweise gravierenden Folgen für sieben Mitgliedstaaten: Die EU-Kommission strebt ein Defizitverfahren gegen Frankreich, Italien, Polen, Belgien, Ungarn, Malta und die Slowakei an, da sie zu große Haushaltslöcher aufweisen, die aus Sicht der EU-Kommission Strafverfahren rechtfertigen.
Italien und Frankreich lagen 2023 mit einem Defizit von 7,4 % bzw. 5,5 % deutlich über der Grenze (siehe Grafik 2). Die Möglichkeit eines Defizitverfahrens wurde im Rahmen einer Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaketes 2011 beschlossen und macht eine Geldbusse von bis zu 0,5 % des BIP möglich. Dies droht aber nur im äussersten Fall. Vorerst müssen im Juli 2024 die EU-Finanzminister*innen darüber abstimmen, ob die Kommission das Verfahren tatsächlich einleiten soll. Im November dieses Jahres macht Brüssel Vorschläge, wie – und vor allem wie schnell – das Defizit gesenkt werden soll.
Obwohl seit der Geburtsstunde der EU zu keinem Zeitpunkt alle Länder die Schuldenobergrenzen eingehalten haben, gab es so ein Verfahren noch nie. Vor allem die mögliche Strafe in Form einer Geldbusse wird vielerorts als problematisch angesehen. Ein vorgeschriebener und strikter Sparplan würde ausserdem drastische Einsparungen im öffentlichen Sektor erfordern. Vor dem Hintergrund einer ohnehin schon schwächelnden Wirtschaft kann dies die Probleme des betroffenen Landes noch zusätzlich verschärfen.
Grafik 2: Quelle: Bloomberg, Stand: Juli 2024.
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